Bedrängnis

 

 

Kapitel 1

 

Wut

 

   Er saß etwas abseits und beobachtete seine Clique. Sie tranken und rauchten und schienen richtig gut drauf zu sein. Irgendwie war ihm aber heute nicht danach. Seit über einer halben Stunde trank er bereits an seinem Bier und es schmeckte ihm nicht. Der Partykeller im Haus von Björns Vater war wirklich klasse geworden. Sie hatte fast die ganzen Ferien daran gearbeitet. Christian hatte die alte Couch und die Sessel seiner Eltern spendiert. Dazwischen stand ein alter Couchtisch, den Björn seiner Großmutter abgeluchst hatte. Nun sparten sie nur noch auf einen Billardtisch. Sophie saß rittlings auf einem alten Holzstuhl und nickte im Takt der Musik. Es ist eine Sünde, Pet Shop Boys. Er wusste, sie liebte diesen Song, der fast doppelt so alt war, wie sie selbst. Sie hatte ihre Augen geschlossen und ihr rotes Haar wippte im Takt.

   „Hey, bekomme ich auch noch etwas ab?“, brüllte Björn und wollte nach der Flasche Rum greifen. Doch Christian war schneller und riss sie Sophie aus der Hand. „Manno“, maulte sie und wollte aufstehen, um sich die Flasche zurückzuholen. Da sie die halbe Flasche Rum fast allein geleert hatte, war dieser Versuch wenig erfolgreich. Sie wankte, verlor das Gleichgewicht und landete auf Riccardos Schoß. Der lachte und schlug ihr mit der flachen Hand auf den Hintern.

   „Nehmt euch doch ein Zimmer“, grölte Björn und nahm Christian geschickt den Rum wieder ab. Dieser wollte protestieren, aber erinnerte sich prompt an seinen noch glimmenden Joint im Aschenbecher. „Ja, macht weiter, das ist geil. Unsere Sophie steht drauf“, lallte er und zog zufrieden an seinem Joint.

   „Halt die Klappe und geh lieber mal zum Friseur.“ Sophie streckte ihm die Zunge heraus.

   „Pah, lass mich doch in Ruhe“, antwortete Christian genervt, der vor einem halben Jahr beschlossen hatte, seine Haare wachsen zu lassen. Mittlerweile reichten sie ihm bis zu den Schultern. Er fand es geil, alles andere war vollkommen egal.

   „Genau, versuch es mal mit einer vernünftigen Frisur“, lachte Björn und strich sich demonstrativ durch die kurzen, schwarzen Haare. Riccardo lehnte sich über Sophie und griff nach der letzten, noch vollen Bierdose, die auf dem Tisch stand. Er öffnete sie und trank einen großen Schluck.

   „Ich will auch etwas.“ Sophie drehte sich um und schaute hoch zu Riccardo. Er beugte sich zu ihr hinunter, öffnete seine Lippen und ließ ein paar Tropfen Bier in ihren offenen Mund laufen. Eifersüchtig wandte Phillip seinen Blick ab.

   „Leute, das ist so ekelig“, maulte Björn erneut. „Sebastian, sag doch auch mal was. Außerdem ist der Rum alle.“

   „Biste etwa neidisch, Björni?“, kicherte Riccardo und trank noch einen Schluck.

   „Nee, bestimmt nicht“, antwortete dieser. „Aber ich will noch was trinken.“

   „Ich kann nicht aufstehen, ich habe eine Sophie auf mir liegen“, erklärte Riccardo. Christian grinste schief und nahm noch einen tiefen Zug, während Björn nur genervt die Augen verdrehte. Ein Poltern ließ alle kurz aufschrecken.

   „Ah, du schläfst also doch noch nicht“, lachte Sophie und schaute hinüber zu Sebastian, der gegen einen leeren Bierkasten Kasten getreten war. Er antwortete nicht, sondern ging weiter zur Treppe.

   „Wo willst du denn hin?“, wollte Sophie wissen und strich sich eine rote Locke aus der Stirn. „Hey, ich habe dich etwas gefragt“, fügte sie hinzu, als sie keine Antwort erhielt. Philip strich sich das blonde Haar nach hinten und ging wortlos weiter.

   „Holst du Nachschub?“, fragte Björn.

   „Redest du nicht mehr mit mir“, wollte Sophie wissen.

   „Ja, ich hole Nachschub, Pia.“ Er schaute sie an und wartete auf eine Reaktion.

   „Du Arsch, du weißt genau, dass du mich nicht so nennen sollst“, giftete sie ihn an. Sie hasste ihren ersten Vornamen und das wusste er auch. Phillip war zufrieden. Hoffentlich hatte sie gemerkt, wie wütend er war.

   „Lass ihn doch. Der kriegt sich schon wieder ein.“ Riccardo nahm Sophies Kopf, beugte sich hinunter und küsste sie. Kommentarlos ging Phillip an ihnen vorbei. Er haste Riccardo dafür. Am liebsten würde er ihn töten.

 

Zwanzig Jahre später

 

   Er stand am Fenster und schaute immer wieder hinüber. Das Haus hatte sich in den vergangenen knapp zwanzig Jahren kaum verändert. Sie hatte sich wirklich gut darum gekümmert. Das Dach und die Fassade hatte sie erneuern lassen, doch die Farben waren so geblieben. Die Fassade strahlte in einem leuchtenden Weiß und die Ziegel in einem warmen Rotbraun. Selbst der Garten hatte sich seit damals kaum verändert.

   Endlich war die Zeit vorbei, dass er sie aus dem Auto heraus beobachten musste. Welch Glück, dass dieses Haus erst kürzlich so unvorhergesehen verkauft wurde. Nun ja, unvorhergesehen stimmte natürlich nicht ganz. Schließlich hatte er dafür gesorgt, dass das Haus verkauft wurde. Niemand hatte Fragen gestellt. Es war doch absolut nicht ungewöhnlich, dass hin und wieder alte, gebrechliche Leute unglücklicherweise die Treppe hinunterstürzten. Leider hatte der alte Herr Wierich diesen Sturz leider nicht überlebt. Er hatte keine Verwandten und so wurde das Haus rasch verkauft. Jetzt wohnte er in diesem Haus. Planung und Organisation waren eben alles.

   Mittlerweile waren bereits mehr als fünfzehn Minuten vergangen, seit der braunhaarige Mann das Haus betreten hatte. Eigentlich war er doch gar nicht ihr Typ. Sie stand sonst auf große, blonde Männer, das wusste er ganz genau. Aber es war einige Monate her, dass sie das letzte Mal Besuch von dieser Spezies hatte. Was wollte sie also von diesem Kerl? Es ärgerte ihn, nicht zu wissen, was bisher in dem Haus geschehen war. Langsam ging die Sonne unter und in der oberen Etage wurde das Licht eingeschaltet. Ohne den Blick abzuwenden, öffnete er die Schreibtischschublade und holte ein Fernglas hervor. Seine Hände waren feucht und zitterten. Er drehte das kleine Rad. Nun konnte er alles perfekt sehen. Das große Doppelfenster, das von ihrem Schlafzimmer zum Balkon führte, war hell erleuchtet. Sie hatte vergessen, den Vorhang zu schließen, somit konnte er alles sehen. Er fragte sich, wo sie waren. Sie waren nirgends zu sehen.

   Die Minuten verstrichen und das Fernglas drohte ihm aus den feuchten Händen zu gleiten. Dann sah er ihn. Der Mann mit dem braunen Haar trug nun lediglich ein Handtuch um seine Hüften. Offensichtlich hatten sie gemeinsam geduscht. Es widerte ihn an, denn er wusste, was nun passieren würde. Jedoch war er nicht in der Lage, seinen Blick abzuwenden. Sie betrat das Zimmer. Ohne Handtuch, völlig nackt. Der Mann ging zu ihr, zog sie an sich und küsste sie. Er konnte genau sehen, wie die Zunge des Mannes in ihren Mund eindrang. Ihr schien es sichtlich zu gefallen. Sie streichelte ihn, riss ihm dann das Handtuch weg und ließ es auf den Boden fallen. Der fremde Mann packte sie, hob sie hoch und warf sie aufs Bett. Sie lachte wie ein alberner Teenager. Lasziv räkelte sie sich, streichelte sich die Brüste und spreizte ihre Beine. Es war einfach nur widerlich, wie sie sich ihm anbot. Wie eine Nutte.

   Er konnte es nicht länger mit ansehen. Das Fernglas legte er schnell zurück in die Schublade und verließ das Zimmer. Er lief die Wendeltreppe hinunter und hielt auf die Ausgangstür zu. Klare, kühle Abendluft schlug ihm entgegen. Tief atmete er sie ein. Die Straße war vollkommen leer. Hierher verirrte sich nur selten jemand. Kurz schaute er sich um und überquerte dann zügig die Straße. Ihre Haustür war unverschlossen, wie leichtsinnig von ihr. Er musste unweigerlich grinsen. So hatte sie es selbst zu verantworten, was gleich geschehen würde. Er ging in die Küche und zog eines der Messer aus dem hölzernen Block, der auf der weißen Marmorplatte direkt neben der Spüle stand. Es war das größte und längste Messer.

 

   Lautlos schlich er die Treppe nach oben. Ein paar Momente später stand er in der Tür zum Schlafzimmer und beobachtete sie. Sie bemerkten es nicht einmal. Der fremde Mann lag auf ihr. Er bewegte sich in einem immer schneller werdenden Rhythmus. Die rothaarige Frau unter ihm stöhnte lustvoll. Keinen Moment länger ertrug er diesen Anblick. Er hob das Messer. Mit nur zwei Schritten stand er am Bett. Dann stach er zu. Die Klinge bohrte sich erbarmungslos in den Rücken des Mannes. Er zog sie heraus, nur, um sie erneut in den blutenden Körper zu stoßen. Immer wieder. Das Blut spritzte aus den Wunden, jedes Mal, wenn er das Messer wieder aus dem Fleisch zog. Das Bett, die Tapete und der weiße Teppich waren voller Blut. Wie aus der Ferne hörte er ihre Schreie. Dann war es nur noch ein ersticktes Röcheln. Seine Hand schmerzte und war verkrampft.


 

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Viel Spaß beim Schmökern!

 

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Sandra Plötzke

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